Lange Rekesweg
Göttingen
Im Zentrum des Entwurfs steht eine resiliente und nachhaltige, städtebauliche und landschaftsplanerische Gebietsstruktur, die die Potentiale und Grundlagen des Orts und die zeitgemäßen Anforderungen an ein treibhausgasneutrales und klimaresilientes Wohnquartier in eine ausgewogene Balance bringt. Dabei haben eine klimaangepasste Siedlungswasserwirtschaft, nachhaltige Bauverfahren und Baustoffe ebenso Bedeutung, wie soziale und ökonomische Belange.
Das Entwicklungsgebiet ist in 12 modulare Teilflächen mit unterschiedlichen Nutzungsschwerpunkten gliedert. Neben einer modularen, räumlichen Schwerpunksetzung entsteht dadurch auch die Option der zeitlich modularen Umsetzung.
Das zukünftige Wohnen bildet sich auf den einzelnen Baufeldern in gegenseitiger Beziehung ab. Verschiedene Typologien werden hier in Form von Wohnhöfen zusammengefasst und teilweise mit anderweitig genutzten Erdgeschosszonen bereichert. Öffentliche Schwerpunkte entstehen entlang der zentralen Wasserpromenade, insbesondere direkt am südlich gelegenen Entrée des neuen Wohngebiets.
Der vorhandene Reiterhof, die Quartiersgaragen und die Kita fügen sich selbstverständlich, additiv oder überlagernd, in die städtebauliche Struktur ein.
Die freizuhaltende Kaltluftschneise prägt als öffentlicher Freiraum gleich 3 der 12 Teilflächen und verbindet offenes Feld mit den bestehenden Grünflächen des Friedhofs im Osten.
Modular aufgebaut ist auch die Topographie des Entwicklungsgebiets. Jede der Teilflächen befindet sich in einer unterschiedlichen Höhenlage über Normal Null. Die natürliche Umweltbedingung der gebietseigenen, hohen Grundwasserstände äußert sich in im Vorhandensein durchgängiger Meliorationsgräben. Die neue Topographie reagiert auf die Potentiale der natürlichen Gebietsentwässerung und kehrt sie um - das Risikopotential möglicher Überschwemmung wird minimiert und Regenwasser wird vor Ort unmittelbar in den Wasserkreislauf zurückgeführt.
Die vorhandenen landwirtschaftlichen Wege werden zu Erschließungsstraßen mit klassifiziertem Querschnitt ausgebaut. So kann auf schon vorhandenen Trassen eine maximale Erreichbarkeit und Durchlässigkeit für das Entwicklungsgebiet erzielt werden und die Möglichkeiten einer fußgänger- und radfahrerorientierten inneren Erschließung werden optimiert.
Über die innere Erschließung wird der modulare städtebauliche Ansatz im Grundriss verortet. Im Verlauf des zentralen vorhandenen Entwässerungsgrabens gliedern als „shared space“ ausgebildete Wege in Nord-Süd-, als auch in Ost-Westausrichtung das Gebiet. Unterschiedliche Querschnitte schaffen Raum für diverse Nutzungen.
Insbesondere die als shared space ausgebildete „Wasser-Promenade“ und die „autofreie Fahrrad-Promenade“ prägen das Gebiet auf eine attraktive Art und Weise.
Der ruhende Verkehr wird an den Rändern durch oberirdische Stellplatze und zwei Quartiersgaragen aufgenommen. Durch das dezentrale Angebot bleiben die Wege zur Wohnung kurz und damit alltagstauglich.
Für Be- und Entladevorgänge sind alle inneren Wege geeignet und zugelassen, weiter befinden sich in jedem Baufeld unmittelbar an den Wohnungen barrierefreie Stellplätze.
Die resilienten Freiräume, die flexibel auf Veränderungen und sich ändernde Nutzungsansprüche reagieren, sind multifunktional. Im Entwicklungsgebiet sind sie Verkehrsräume, Retentionsräume, Spielräume, Erlebnisräume, Kunsträume und Begegnungsräume zugleich. Sie sind Freiräume für alle. Sie fördern die Gemeinschaft und die gleichberechtigte Teilhabe aller BewohnerInnen, sowie das Miteinander von Mensch und Natur.
Aufgrund der übergeordneten Bedeutung der Kaltluftschneise entsteht in zentrale Lage eine Wiesenlandschaft, die Luft auch atmosphärisch im Quartier verbreitet. Trichterförmig orientiert sich der Freiraum in Richtung Westen, landschaftliche Offenheit und bauliche Ränder prägen die 3 Teilflächen. Diese sind topographisch tiefer als die angrenzenden Baufelder ausgebildet und orientieren sich am Höhenverlauf des vorhandenen Grabens. Sie werden bei Starkregenereignissen zum Retentionsraum und zur Vorflut in einem.
Die Flächen des wiesenartigen Landschaftsraums bieten den BewohnerInnen Gelegenheit zur spielerischen Aneignung und zum Naturerlebnis. In den unterschiedlichen Sukzessionstadien von Seggen- und Röhrichtbiotopen lassen sich Vögel und Amphibien entdecken.
Über das Netz von sogenannten „blau-grünen Fugen“, die sich über das gesamte Entwicklungsgebiet erstrecken, wird das Regenwasser der versiegelten Flächen gesammelt und dem wiesenartigen Landschaftsraum zugeführt. Die Fugen verlaufen zwischen den Erschließungsflächen und den Baufeldern. Damit sind sie Teil der öffentlichen Straßenräume und bilden gleichzeitig aber auch eine Schwelle zum privaten Wohnumfeld. Das private Wohnumfeld und die Wohngebäude gruppieren sich in jeder Teilfläche um eine zentrale Begegnungszone. Hier weiten sich Fußwege zu kleinen Platzflächen mit Aufenthaltscharakter auf. Eine Ausstattung mit Tischen und Bänken fördert hier Nachbarschaften und soziale Zusammengehörigkeit und kompensiert den eher geringen individuellen Freiraum.
Im Wesentlichen besteht das Gebiet aus einer Mischung der Wohntypologien Geschosswohnungsbau, Townhouses und Doppelhäusern. Hierbei bewirken die Geschosswohnungsbauten eine räumliche Blockbildung. Die kleineren Strukturen belegen jeweils die Blockmitten, welche in Richtung Norden und Westen offene und behutsamere Ränder zur Landschaft hin ausbilden.
Der Wechsel von 3- und 4-geschossigem Geschosswohnungsbau hat einerseits einen räumlich erlebbaren Mehrwert und schafft andererseits Sonder- und alternative Wohnformen in den Blockecken, wie zum Beispiel ein flächeneffizientes Clusterwohnen, Seniorenwohnen oder inklusives Wohnen. Insbesondere die freistehenden Eckgebäude eignen sich für kleinere Bauvorhaben wie Baugruppen.
Die Erdgeschosszonen in den poligonalen Eckgebäuden sind für gemeinschaftliche Nutzungen vorgesehen, alle Erdgeschosse entlang der zentralen Quartierserschließung für gewerbliche Nutzung, kleinere Geschäfte, Büros, Co-Working, Arztpraxen etc. Aufgrund ihrer durch die Grünräume entstehenden Distanzierung zur Straße kann man sich eine bedarfsorientierte Umnutzung der Ergeschosse zum Wohnen gut vorstellen.
Öffentliche Schwerpunkte entstehen jeweils um die „Mobility Hubs“, die neben der Funktion einer Quartiersgarage für PKW und Fahrräder und der Bereitstellung von Car Sharing und Co. zum öffentlichen Raum hin Raum für ein Nachbarschaftscafé, Apotheke, kleinere Geschäfte etc. bieten. Insbesondere der südlich gelegene Quartiersplatz wird geprägt durch öffentliche Funktionen wie Mobility Hub und Kita und bietet sogar Raum für Veranstaltungen oder einen keinen Markt.
Die Mischung der verschiedenen Wohnformen auch innerhalb der einzelnen Wohnhöfe, aber auch die partiell anderweitig genutzten Erdgeschosszonen versprechen eine lebendige Nachbarschaft und eine soziale Mischung im neuen Wohnquartier.
2022
beschränkter Wettbewerb
Entwurf: Sophie Höfig, Mathaeus Nierzwicki
Mitwirkende: Matej Hoffmann
Landschaft: schöne aussichten landschaftsarchitektur, Kassel
Modellbau: HeGe Modellbau, Berlin
Weiterführende Links
Göttingen Nachhaltiges Modellquartier